Zur Navigationsleiste! 60 Jahre SPD-OV Zell-Weierbach - Die Festrede von Harald B. Schäfer

 

60 Jahre SPD Zell-Weierbach                                                                

Die Bundesrepublik Deutschland wird in diesem Jahre 60 Jahre alt. Genau so alt ist der SPD Ortsverein Zell-Weierbach. Für die Bundesrepublik und die SPD Zell- Weierbach sind diese 60 Jahre eine reine Erfolgsgeschichte. Das Grundgesetz, dessen Verabschiedung am 23. Mai 1949 die Geburtsstunde der Bundesrepublik markiert‚ ist ein großartiges Angebot für eine demokratische, soziale, rechtsstaatliche Staats -und Gesellschaftsordnung. Der Geist des Grundgesetzes, seine Wertordnung, seine Wertorientierung bestimmen auch seit seiner Gründung das Wirken der SPD Zell-Weierbach. Die Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes - beide zählten zu den Besten ihrer Zeit - waren durch Erfahrungen des Dritten Reiches‚ seiner Unmenschlichkeit, Willkürherrschaft, Menschenverachtung, Menschenfeindlichkeit, Barbarei geprägt. „Nie wieder darf es so etwas in Deutschland geben“, war das Credo der Verfassungsgeber. Sie formulierten zeitlose, immer geltende und gültige Rechte, Menschenrechte, die dem Staate vorgegeben sind, die zugleich Schranke und Auftrag für den Staat für die Politik bedeuten.

    


Harald B. Schäfer

Sie dürfen in ihrem  Wesensgehalt  in  ihrem Kern  von  künftigen  Gesetzgebern  nicht abgeschafft werden, auch nicht mit einer 2/3-Mehrheit, auch nicht einstimmig. Fester, unveränderlicher, unveräußerlicher Bestand des Grundgesetzes, dies war der Wille des Verfassungsgebers. Dies gilt nicht nur für Artikel 1 unserer Grundgesetzes “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dass diese Rechte Menschenrechte sind zeigt schon der Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“; es heißt nicht „die Würde des Deutschen“, es heißt „die Würde des Menschen“. Alle Menschen, die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland leben, sich aufhalten, haben den Anspruch auf diese Menschenrechte.

Die Gründungsmitglieder der SPD Zell-Weierbach gehören in eine Reihe mit den Verfassungsgebern. Für sie war es nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und der Nazizeit eine Selbstverständlichkeit, sich für das Allgemeinwohl zu engagieren und an dem Aufbau einer humanen, demokratischen Staats -und Gesellschaftsform mitzuarbeiten. Ich freue mich sehr, dass wir mit Emil Falk heute eines der Gründungsmitglieder unter uns haben und stellvertretend für alle kann man nur Lukas Müller nennen, Lukas Müller, gebürtiger Zell-Weierbacher, Journalist, langjähriger Stadtrat der SPD in Heilbronn, Bekannter ja Freund des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss. Beide waren trotz unterschiedlicher politischer Auffassung in gegenseitiger Wertschätzung verbunden. Lukas Müller das war der Gründungsmotor der Zell-Weierbacher SPD. Er war von der Idee der sozialen Demokratie durchdrungen, die Idee die auch Emil Falk geprägt und geleitet hat. Die Demokratie muss sozial, soziale Gerechtigkeit ihr Kennzeichen sein, wenn sie allen Bürgern zur politischen, zur gesellschaftlichen Heimstatt werden soll. Das war die feste Überzeugung der Gründungsmitglieder. Das war, was Lukas Müller, Emil Falk und andere Gründungsmitglieder entscheidend zur Gründung gebracht haben. Diese Wertorientierung, diese Ausrichtung, Verwirklichung einer sozialen Demokratie ist heute nicht weniger notwendig als beim Aufbau der Bundesrepublik, vielleicht ist ihre Umsetzung in gesellschaftliche Wirklichkeit heute noch dringender geboten.

Immer mehr Menschen in der Bundesrepublik wenden sich von der Demokratie ab. Sie hat an Anziehungs- und Überzeugungskraft verloren. Glaubt man Umfragen, sind es in Ostdeutschland fast die Hälfte und in Westdeutschland mehr als ein Drittel der Bevölkerung, die die Demokratie nicht mehr als die beste Staatsform betrachten.

Dies ist eine staats- und demokratiepolitisch bedrohliche Entwicklung. Der Marktradikalismus‚ der weltweit dominiert oder zumindest lange dominiert hat, die Überbetonung des Finanziell - Ökonomischen, das weltweite unkontrollierte Streben nach dem schnellen Gewinn ohne Berücksichtigung sozialer und ökologischer Belange beschleunigen die Abkehr von der Demokratie Es zeigt sich immer deutlicher, dass die These „privat ist besser als Staat“, nicht zukunftsfähig ist.

Dieser Tage trifft sich wieder die Manager-Elite oder wer sich dafür hält in Davos. Vor 1 ½ Jahren ist dort anlässlich dieses Treffens eine Umfrage unter mehr als tausend   Managern gestartet worden. Gefragt wurde, was sie vor allem bemängeln. Über tausend Meinungsträger, Wirtschaftskapitäne, Bankmanager - 92 Prozent davon haben die Überregulierung durch den Staat beklagt; heute hören wir von den gleichen die Forderung nach Vergesellschaftung:  es kann nicht mehr Staat genug sein und Sozialdemokraten sind es, die in der Tat aktuell davor warnen, die entscheidenden Schlüsselindustrien zu vergesellschaften, zu verstaatlichen. Also noch einmal: es zeigt sich immer deutlicher, dass die These „privat ist besser als Staat“ nicht automatisch richtig ist. Sie ist nicht zukunftsfähig. Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat ‚ wir brauchen verantwortliche Politik; sie müssen die Regeln und den Rahmen vorgeben für die soziale, ökonomische und ökologische Ordnung. Für mich – insofern ist die Zell-Weierbacher SPD mit ihrer Grundorientierung nach unserer SPD heute noch ganz zeitgemäß – für mich ist die Idee der sozialen Demokratie, der sozial-ökologischen Demokratie die zeitgemäße und zukunftsfähige Antwort auf die Krise, die wir weltweit – in einzigartiger Form übrigens bislang - durchlaufen. Mit ihr - der Idee der sozialen Demokratie und ihrer schrittweisen Realisierung auch im globalen Maßstab - kann der Abkehr von der Demokratie erfolgreich gegengesteuert werden.

Die SPD Zell-Weierbach war stets der Idee der sozialen Demokratie verpflichtet, sie ist nahe bei den Menschen. Auch hier wieder beispielhaft Lukas Müller – wenn man ein Problem hatte, ging man in Zell-Weierbach zu Lukas Müller. Die SPD ist also nahe bei den Menschen hier in Zell-Weierbach und ihren Problemen, sie kennt den Alltag und will ihn  sozialer und umweltfreundlicher, zukunftsfähiger also gestalten, das waren, das sind Motiv und Schwerpunkt ihres Handelns. Ich danke dafür stellvertretend für alle Mitglieder dem Vorsitzenden Rüdiger Wagner, der langjährigen Vorsitzenden Sieglinde Metzler und natürlich Lukas Müller. Die SPD ist stolz, diese Persönlichkeiten in ihren Reihen zu wissen.

Das Grundgesetz bildet das Fundament unserer Demokratie. Sie ist die Staatsform, die dem Bürger die größte Möglichkeit der Teilhabe und Mitwirkung bietet. Sie kann aber nur lebendig und von Dauer sein, wenn möglichst viele Bürger diese Möglichkeit auch nutzen. Eine Demokratie, in der sich nur wenige engagieren und die zur bloßen Zuschauerdemokratie wird, läuft Gefahr, sich selbst aufzugeben. Die Weimarer Republik war eine Demokratie mit zu wenig Demokraten. Daran ist sie letztlich zugrunde gegangen.

Unser Grundgesetz, ich wiederhole diese Feststellung‚ ist ein großartiges Fundament für einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat, für eine menschenwürdige Gesellschaft. Sie zu verwirklichen und mit Leben zu erfüllen, sind Politik und Gesellschaft insgesamt aufgerufen. Diese Aufgabe zu meistern, zumindest sie anzupacken, jedenfalls einen wichtigen Beitrag dazu zu leisten, können die verschiedenen gesellschaftlichen Verbände, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Vereine, Bürgerinitiativen und natürlich und an prominenter Stelle die Parteien. Die Parteien erhalten mit dem Grundgesetz von 1949 erstmals in unserer Geschichte Verfassungsrang. Die Parteien, heißt es dort, wirken an der politischen Willensbildung mit. Dabei kommt ihnen eine besondere Verantwortung zu. Sie sind, wie schon der Name Partei sagt – kommt aus dem lateinischen „pars“ für Teil -  immer Teil des Ganzen und dürfen sich nie mit dem Ganzen gleichsetzen, müssen aber immer dem Ganzen verpflichtet sein. Sie haben eine dienende Funktion und dürfen nie zum Selbstzweck werden! Gerhard Schröder, der vormalige Kanzler hat, diesen Grundsatz so formuliert: “Erst kommt das Land, dann die Partei“. Er hat diese Maxime in seiner Politik umgesetzt, Stichwort Agenda 2010, zum Nutzen des Landes, zum jedenfalls kurz- und mittelfristig erheblichen Schaden der SPD, seiner Partei. Auch für die SPD Zell Weierbach gilt dieser Grundsatz. Das Wohl des Gemeinwesens steht im Vordergrund der Arbeit, nicht das der SPD. (Wenn diese Haltung dann der SPD zugute kommt, wird dies natürlich herzlich begrüßt und ist willkommen.)

Unsere SPD ist die älteste Partei Deutschlands. Sie wird in diesem Jahr, übrigens am gleichen Tag wie die Verkündung des Grundgesetzes, - am 23. Mai - 149 Jahre alt. 60 Jahre SPD Zell-Weierbach sind ein stolzer Teil davon. Die Geschichte der SPD ist voller Höhen und Tiefen. Aber das Positive, wie eine nüchterne politische Bilanz zeigt, überwiegt. Die SPD ziert die Geschichte unseres Landes. Sie war, sie ist und sie bleibt die Partei, die den Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität verpflichtet ist. Seit ihrer Gründung gab es an diesen Grundwerten keine Abstriche, sie machen den Kern sozialdemokratischer Werte aus, sie sind der Boden von dem aus Sozialdemokraten sich bemühen Politik zu gestalten. Diese Grundwerte sind also, um den Gedanken noch einmal zu unterstreichen, für die SPD unveräußerlich: Sie müssen freilich in ihrem Verhältnis zueinander und in ihrer konkreten Ausfüllung – was heißt Freiheit in der jeweils konkreten Situation, was heißt Gerechtigkeit in der jeweils konkreten Situation -  sie müssen also in ihrem Verhältnis zueinander und in ihrer konkreten Ausfüllung immer neu bestimmt werden. Das ist Aufgabe der konkreten Politik in der jeweils konkreten politischen, gesellschaftlichen Situation.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. So setzte die SPD 1919 Forderungen durch, für die sie jahrzehntelang im Kaiserreich vergebens gekämpft hat, beispielsweise den 8-Stunden-Normal-Arbeitstag, Verbot der Kinderarbeit, Arbeitsschutzbestimmungen, Forderungen über Tarifverträge, Koalitionsfreiheit, Recht zu streiken, Arbeitslosengeld, Das sind alles Forderungen, die insgesamt mehr soziale Gerechtigkeit bedeuten und heute selbstverständlich sind. Gerechtigkeit heute heißt - so ihr Vorsitzender Franz Müntefering – Teilhabe durch angemessene Einkommen, Teilnahme durch gerechte Arbeit, Chancengleichheit in der Schule und Generationsgerechtigkeit unter anderem durch solide Staatsfinanzen. Forderungen, die die Defizite bei uns beseitigen sollen: Teilhabe:  Zunahme der Einkommensungleichheit stoppen - Teilnahme: Arbeitslosigkeit abbauen - Chancengleichheit: Bildungsungerechtigkeit beseitigen - und schließlich Nachhaltigkeit: Entscheidungen heute so treffen und umsetzen, dass auch den nach uns kommenden Generationen Entscheidungs- und Lebensmöglichkeiten bleiben. Das sind also heute konkrete Definitionen von Gerechtigkeit, die der konkreten politischen Situation angepasst sind auf der Grundlage der gleichen Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität.

Die SPD war in ihrer Geschichte stets ein Garant für die Demokratie. Sie hat 1919 das allgemeine, freie und gleiche Wahlrecht und damit das Frauenwahlrecht eingeführt. Am 19. Januar dieses Jahres war es genau 90 Jahre her, dass erstmals Frauen wählen durften, dass wir erstmals im Reich freie, gleiche, geheime und direkte Wahlen hatten. Das musste erkämpft werden. Heute ist das gottlob eine Selbstverständlichkeit. Die SPD hat auch widerstanden, wo andere demokratische Parteien kapituliert haben. So am 23. März 1933 bei der Abstimmung über Hitlers Ermächtigungsgesetz, mit dem die Demokratie formal demokratisch korrekt, weil mit Mehrheit so beschlossen, abgeschafft wurde. Deutschnationale, Deutsche Volkspartei, Zentrum, Bayrische Volkspartei und die Splittergruppen, alles Vorläuferparteien der heutigen Parteien mit Ausnahme der Grünen, die es damals noch nicht gab, haben Hitlers Ermächtigungsgesetz und damit der Abschaffung der Demokratie zugestimmt. Nur die SPD - die KPD war bereits verboten - stimmt dagegen.

Ich zitiere aus der Rede des SPD-Vorsitzenden Otto Wels im Reichstag, umringt von der braunen Horde brüllender Abgeordneter der NSDAP führt er unter anderem aus: „Wir Sozialdemokraten haben in schwerster Zeit Mitverantwortung getragen und sind dafür mit Steinen beworfen worden. Wir haben gleiches Recht für alle und ein sozialeres Arbeitsrecht geschaffen. Wir haben geholfen, ein Deutschland zu schaffen, in dem nicht nur Fürsten und Baronen, sondern auch Männern aus der Arbeiterklasse der Weg zur Führung des Staates offensteht. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten!“ Am 23. Juni 1933 verbietet Innenminister Frick die SPD. Die zweite, zwölfjährige Verfolgung der Sozialdemokraten beginnt.

Ich weiß, dass es viele Vorbehalte gegen die Politik gibt, und erst recht gegen die Parteien. Das politische Ideal vieler Bürger heißt: Politik ohne Parteien. Politik ohne Parteien bzw. nur mit einer haben wir in Deutschland gehabt. Während der Nazizeit gab es bekanntlich nur eine Partei: die NSDAP. Auch in der DDR gab es in Wirklichkeit keine freien Parteien, sondern die Blockpolitik der „nationalen Einheitsfront“. Wo es keine konkurrierenden politischen Parteien gibt, gibt es keine politische Freiheit. Der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann formulierte es in einem Artikel vom 7. Juni 1950 mit der Überschrift “Politik ohne Parteien verhängnisvoll“ so: „Politik mit Parteien ist die Gewähr unserer staatsbürgerlicher Freiheit und ein Mittel zu systematischer Arbeit. Politik mit Parteien heißt die Regierung unter ständiger legaler Kritik halten, heißt der regierenden Gruppe eine opponierende entgegenzustellen, heißt eine Möglichkeit des Regierungswechsels zu haben, heißt so wählen zu können, dass Auswahl besteht, heißt kurzum Freiheit.“ Vielen Bürgern missfällt die politische Auseinandersetzung zwischen den Parteien, sie wird verächtlich als Parteienstreit diskriminiert. Der große Politiker und homme de lettres Prof. Carlo Schmid, der ganz entscheidend das Grundgesetz gestaltet hat, zitiert dazu in seinen Erinnerungen den damaligen britischen Innenminister Herbert Morrison: „Dass politische Parteien um ihre Sache hart kämpfen, ist das Lebensblut der Demokratie!“ Die politische, kontroverse Auseinandersetzung und die Fähigkeit zum Kompromiss, wo er von der Sache her vertretbar ist, sind zwei Seiten der demokratischen Medaille. Die Parteien verhalten sich in aller Regel entsprechend. Dies gilt besonders für die Kommunalpolitik. Ich denke, diese Haltung zeichnet in besonderer Weise die SPD Zell-Weierbach aus. Sie steht für konsensorientierte Sachpolitik, wo immer es vertretbar ist, aber auch für das klare Vertreten eigener Positionen, die für das Gemeinwesen von Nutzen sind!

Ich will noch einmal Carlo Schmid zitieren, weil er Zeitloses formuliert. Auf dem Deutschlandtreffen der SPD 1965 in Dortmund führt er aus: „Wir wollen einen starken Staat, wissen aber, dass der Staat nur so stark sein wird, wie seine Bürger entschlossen sind, auf ihren Freiheitsrechten und Freiheitspflichten zu bestehen: Darum wollen wir den Menschen nicht verstaatlichen und nicht vergesellschaften, wir wollen Staat und Gesellschaft vermenschlichen!“. So weit Carlo Schmid. Ich finde seine Aussage gilt zeitlos, also auch heute!

Ich wünsche der SPD Zell-Weierbach für die nächsten Jahre viel Erfolg, viele neue Mitstreiter und weiterhin gute Beziehungen zu den anderen gesellschaftlichen Organisationen im Ort.




Stand: 06.02.2010
Web-Design: Gerhart Metzler